Nachdem jahrelang wenig passiert ist, überschlagen sich derzeit die Neuregelungen für die Pflege: Pflegeberufereformgesetz, Pflegekräftestärkungsgesetz und jetzt hat die Koalition noch vor Weihnachten ein Einwanderungsgesetz vorgelegt, um leichter Fachkräfte aus dem Ausland anzuwerben. Aber was bedeuten diese Neuregelungen für die Pflege? Helfen Sie, den Fachkräftemangel zu bekämpfen?
Während die Statistik der Bundesagentur für Arbeit für die Krankenpflege regionale Engpässe ausweist, ist der Fachkräftemangel in der Altenpflege flächendeckend. In keinem Bundesland stehen rechnerisch genügend qualifizierte Arbeitslose zur Verfügung, um die gemeldeten Stellen zu besetzen. Dabei mangelt es vor allem an examinierten Fachkräften. Nun sind etliche Neuerungen auf den Weg gebracht. Aber sind es die richtigen Stellschrauben? Und welche Herausforderungen gehen damit einher?
Neue Ausbildung: Alten- und Krankenpflege
Ab 2020 durchlaufen Alten-, Kranken- und Kinderkrankenpflegekräfte eine gemeinsame Ausbildung, ergänzt um universitäre Qualifikationsmöglickeiten. Diese Angleichung an EU-Standards macht es für Pflegekräfte künftig einfacher, zwischen Krankenhaus, Altenheim und ambulanter Pflege zu wechseln. Eben dadurch befürchten manche eine Abwanderung von der Alten- in die Krankenpflege. Dr. Susanna Kochskämper, Pflegeexpertin am Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln, hält diese Befürchtung für realistisch, soweit es um größere Einkommensunterschiede geht, wie es sie derzeit oft gibt. Fallen sie weg, spielen eher die Arbeitsbedingungen die entscheidende Rolle. Helmut Wallrafen, Geschäftsführer der Sozialholding der Stadt Mönchengladbach GmbH, erwartet kaum Abwanderung. Schließlich sei es etwas völlig anderes, ob man Kranke gesund pflegt oder Menschen beim Altwerden bis zu ihrem Tod begleitet. Allerdings zahlt er nach Tarif und damit für die Altenpflege überdurchschnittlich gut. Wallrafen sieht in der Neuordnung der Ausbildung vor allem Vorteile, denn sie macht den Pflegeberuf attraktiver. „Wir kriegen flexibel einsetzbare junge Menschen, die in diesem Beruf Perspektiven sehen“, fasst er zusammen. Kritisch blickt er auf die Ausbildung als solche. Hier wünscht er sich eine stärkere Verzahnung von Schule und Praxis, damit nicht der Praxisschock die neuen Fachkräfte schnell wieder aus dem gewählten Beruf treibt.
Mehr Personal und finanzierte Ausbildung
Dem im Oktober beschlossen Pflegepersonalstärkungsgesetz stehen beide befragten Experten zwiespältig gegenüber. Kochskämper kritisiert, dass viele Punkte in dem Gesetz einmalig seien und die Nachhaltigkeit fehle. Sie wünscht sich mehr Gestaltungsmöglichkeiten für die Pflegemanager: „Wenn ich als Heimleitung darüber diskutieren muss, ob WLAN innerhalb der Pflegesätze abgerechnet wird oder zu Unterkunft und Verpflegung gehört und ob das wirtschaftlich ist, sollte man dringend darüber nachdenken, ob wir nicht weniger Regulierung brauchen.“ Zu viel Regulierung sieht Wallrafen nicht, aber Regulierung an der falschen Stelle. Beide kritisieren die Zersplitterung der Vorschriften, da jedes Bundesland seine eigenen Regeln macht.
Positiv werten sie, dass Sozialversicherungsträger eine Bezahlung nach Tariflohn nicht mehr als unwirtschaftlich zurückweisen können. Die Finanzierung von 13.000 neuen Stellen in der Altenpflege wird ebenfalls positiv bewertet, allerdings müssten diese Fachkräfte erst gefunden oder ausgebildet werden. Der Markt ist leergefegt.
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Migration als Lösungsansatz
Eine Möglichkeit ist es, Fachkräfte aus dem Ausland anzuwerben. Noch vor Weihnachten soll ein Gesetzesentwurf vorgelegt werden, der die Arbeitsmigration erleichtert. Aber lassen sich Menschen und Familien wirklich so einfach über Länder, Kulturen und Sprachen hinweg einsetzen? Wallrafen erzählt von einer enttäuschenden Erfahrung, die er vor einigen Jahren machte, als er spanische Pflegefachkräfte nach Deutschland holen wollte. Trotz intensiver Deutschkurse in Spanien blieben nur die Fachkräfte, die im Krankenhaus arbeiteten. Der Hauptgrund: Pflege ist in Spanien ein studierter Beruf, die Fachkräfte arbeiten mehr auf Augenhöhe mit den Ärztinnen und Ärzten und dürfen mehr medizinische Leistungen erbringen als hierzulande. Insofern waren sie insbesondere in Altenheimen fachlich enttäuscht, weil ihre Aufgaben ganz andere waren, als sie es sich vorgestellt hatten.
Auch Kochskämper warnt davor, Menschen als statistische Verschiebeware zu sehen. Einerseits sei die Aufnahmebereitschaft der Mehrheitsgesellschaft begrenzt. Andererseits gehört zu einer nachhaltigen und langfristigen Integration weit mehr, als Sprachkenntnisse für die Fachkraft. Möglicherweise muss eine ganze Familie integriert werden mit Schule, Arbeit für den Ehepartner und Hilfen, hier Anschluss zu finden. Egal, welche Lösung man favorisiere, sie koste Geld, betont Kochskämper.
Bei der Sozialholding in Mönchengladbach arbeiten viele Pflegekräfte mit Migrationshintergrund aus 26 verschiedenen Ländern. Was sie eint: Sie leben schon lange in Deutschland, kennen Sprache und Kultur. Wenn Menschen alt werden, fallen sie mitunter zurück in ihre Muttersprache, das kann Russisch, Italienisch oder Türkisch sein, aber auch eine starke Dialektfärbung im Deutschen. Daher ist Mehrsprachigkeit ein Vorteil in der Altenpflege, um auch Migrantinnen und Migranten gut zu betreuen. Ein solides Deutsch ist aber zentrale Voraussetzung. Selbst B2 nach europäischem Referenzrahmen reicht im Pflegealltag oft nicht aus. Nicht nur, dass undeutliches, dialektales oder altes Deutsch verstanden werden muss. Wenn die nötigen Begriffe für die richtige Medikation und Versorgung nicht zu hundert Prozent sitzen, kann es schnell gefährlich werden. Wallrafen kritisiert, dass es keine klaren Kriterien gibt, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, um in der Pflege zu arbeiten. In manchen Bundesländern ist es das Sprachniveau B1, in anderen B2 und in NRW entscheiden die Behörden individuell.
Zusätzlich zum Spracherwerb kommen je nach Herkunft kulturelle Hürden. So sind unter den Geflüchteten, die gerne in den Ausbildungsmarkt wollen, viele junge Männer aus dem arabischen Raum. Für sie ist es oft unvorstellbar, eine alte Frau zu waschen und zu pflegen. „Frau pflegt Frau lässt sich organisieren, Mann pflegt Mann nicht immer“, beschreibt Wallrafen die Herausforderungen im Pflegealltag.
Reduktion der Teilzeitquote
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn schlug jüngst vor, Pflegekräfte sollten weniger Teilzeit arbeiten. Laut der Statistik der Bundesagentur für Arbeit wünschen sich 80 Prozent der Altenpflegekräfte eine Vollzeitstelle, finden aber meist nur Teilzeit. Das hat einen einfachen Grund, erklärt Wallrafen. Der Personalschlüssel in der Altenpflege lasse organisatorisch kaum Vollzeitstellen zu. Wenn eine Vollzeitkraft erkrankt oder in Urlaub ist, fehlen der Einrichtung 39 Stunden, die sie organisatorisch auffangen muss, bei einer Teilzeitkraft entsprechend weniger.
Arbeitgeber können viel tun und so Fluktuation, Krankheit und Flucht aus dem Beruf eindämmen. Share on XEin guter Arbeitgeber sein
Aber Arbeitgeber können viel tun und so Fluktuation, Krankheit und Flucht aus dem Beruf eindämmen. Wallrafen macht es vor: Er zahlt nach Tarif und bemüht sich um fördernde und motivierende Arbeitsbedingungen. Die psychologische Beratung, die seit 2012 allen Beschäftigten zustehe, habe in nur einem Jahr die Krankheitstage halbiert, so Wallrafen. Seit 2009 unterstützt eine eigene Pflegelehrerin die Auszubildenden und leitet die Verzahnung von Pflegeschule und –praxis an. „Es geht um eine Vision: Gesunde, geförderte und motivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben Lust und Power.“ Und ja, er schreibe schwarze Zahlen.
Image des Berufs
Und dann ist da noch das Image. Wallrafen kritisiert die oft negative Kommunikation über Pflege. Da sei von Mangel, Überlastung und schlechter Bezahlung die Rede. Wie sollen da junge Leute Lust auf diesen Beruf bekommen? In den Stellenausschreibungen seiner Sozial-Holding klingt der Beruf attraktiver: Da ist von Sinn und Zukunft die Rede, von Sicherheit und guter Bezahlung, von betrieblicher Gesundheitsförderung und Sozialleistungen. Wallrafen ist überzeugt, dass ambulante wie stationäre Pflegedienste viele Möglichkeiten haben, die sie einsetzen können: „Die Effekte greifen, wenn man sie einsetzt.“
— Der Artikel ist erschienen in clavis 5/2018. Hier geht es zum ganzen Magazin mit noch vielen weiteren Texten und Praxisbeispielen. Das Magazin Clavis beschäftigt sich mit der Frage, wie es gelingt, neu Zugewanderte in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Die Ausgabe hat den Schwerpunkt Pflege und fragt: Ausländische Fachkräfte für das Gesundheitswesen?
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