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Equal Pay Day und Gender Pay Gap: Wie lesen wir Statistiken?

Die Gender Pay Gap umgerechnet in den Equal Pay Day zeigt, wie viele Tage Frauen unbezahlt arbeiten, würden Männer und Frauen gleich viel Gehalt bekommen. Die Gender Pay Gap zeigt den Lohnunterschied, gemessen am durchschnittlichen Brutto-Stundenlohn. Der Equal Pay Day ist in diesem Jahr einen Tag früher, allerdings nicht wegen mehr Lohngleichheit, sondern wegen Schaltjahr. Was können uns Statistiken zu Lohnunterschieden über Geschlechtergerechtigkeit sagen? Was nicht? Im Beitrag zeige ich einige Beispiele, warum wir bei Statistiken genau hinsehen und sie hinterfragen müssen. Das Confirmation Bias lauert überall.

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Die bereinigte und die unbereinigte Gender Pay Gap

Du wirst diese Woche wieder hören, dass es die Gender Pay Gap entstehe, weil Frauen andere Berufe ergriffen. Nur: Wie kommt es dann, dass der durchschnittliche Brutto-Monatsverdienst von Frauen im Gesundheits- und Sozialweisen nur 3.804 Euro beträgt, der von Männern aber 5.255 Euro (Statista, Zahlen vom April 2023)?

Ach ja, Frauen arbeiten öfters Teilzeit: Wo steht geschrieben, dass sich Männer und Frauen die Haushalts- und Sorgearbeit nicht gleichberechtigt teilen können? Und was ist gerecht daran, dass die höhere Arbeitszeitleistung von Frauen, wenn unbezahlte und bezahlte Arbeit zusammengerechnet wird, für Frauen eine geringere Rente und viel finanzielle Unsicherheit bedeuten?

Als weiterer Grund wird angeführt, Männer seien häufiger in Führungspositionen: Aber wie kommt es, dass das sogar in Branchen passiert, die weiblich dominiert sind? Auch in der erklärten Gender Pay Gap finden wir also eine Menge Ungerechtigkeiten zum Nachteil von Frauen. Da müssen wir genauer hinsehen.

Statistiken zwischen oberflächlicher Betrachtung und Erkentnissinteresse

Bei der Verschiebung des Equal Pay Day vom 7. März 2023 auf de 6. März 2024 ist die Erklärung einfach: Mit dem 29. Februar hatten wir einen Tag mehr. Weil es so banal einfach ist, wird diese Begründung im Regelfall mitgeliefert.

Recherche kostet Zeit

Ich investiere viel Arbeitszeit in meine Blogbeiträge, beachte journalistische Kriterien und stelle viel weiterführende Information zur Verfügung. Das alles stelle ich kostenlos für alle zur Verfügung – ohne bezahlte Werbung auf meiner Seite. Aber natürlich muss auch ich im Supermarkt mit Euros bezahlen. Daher freue ich mich, wenn du meine ehrenamtliche redaktionelle Arbeit unterstützt.

Oft ist es aber komplexer. Und statt in der Tiefe zu recherchieren, bleiben Berichte, Reden, Forderungen an der Oberfläche. Häufig dienen Zahlen lediglich dazu, die eigene Weltsicht zu „beweisen“ oder die einer anderen Person zu „widerlegen“.

Manchmal wird gezielt nach einer Zahl gesucht, die das eigene Narrativ stärken und beweisen soll und der Kontext zu dieser Zahl völlig ausgeblendet. Das nennt sich dann Desinformation.

Selbst wenn die Absicht positiv sein mag, so hilft uns eine oberflächliche Betrachtung nicht, eine ungerechte Welt gerechter zu machen. Sie stabilisiert eher die ungerechten Verhältnisse oder verschlimmert sie sogar, denn sie blendet die Wirklichkeit aus. Aber die Wirklichkeit zu erkennen und zu verstehen, ist eine Voraussetzung, um wirklich etwas zu ändern.

Korrelationen, Kausalitäten und das Confirmation Bias

Korrelationen sind keine Kausalitäten und schon gar nicht von der Natur so vorgegeben. Korrelationen zeigen zunächst mal, dass zwei Phänome gehäuft gemeinsam auftreten. Warum das so ist, erklären sie nicht. Und auch nicht, was Ursache ist und was Wirkung. Dafür müssen wir genauer hinsehen. Das ist schwer, denn unser Confirmation Bias, unser Bestätigungsfehler, sorgt dafür, dass wir die Wirklichkeit so interpretieren, dass sie unser Weltbild bestätigt. Diesen wahrzunehmen und gegenzusteuern, erfordert einiges an Reflexion.

Um das Warum zu erklären und um herauszufinden, was sich ändern lässt, müssen wir die richtigen Fragen stellen. Wir müssen unsere eigenen Thesen kritisch überprüfen, mit anderen Kontexten vergleichen und testen, ob sie einer kritischen Prüfung standhalten: Ist meine Erklärung wirklich valide oder ergeben sich Widersprüche mit anderen Betrachtungen?

Wenn wir etwas verändern wollen, müssen wir bereit sein, unser eigenes Weltbild kritisch zu reflektieren. Und wir sollten dabei immer folgende Frage mitdenken: What, if I am wrong?

Zurück zur Gender Pay Gap:

Frauen in MINT-Berufen: Statistiken mit Erklärungsbedarf

Eine Begründung für die Gender Pay Gap lautet: Frauen wählten die „falschen“ Berufe. Es ist ja tatsächlich so, dass im Sozial- und Gesundheitswesen sehr viel mehr Frauen als Männer arbeiten und umgekehrt, IT und Technik sehr männlich dominiert sind. Schauen wir uns diese Zahlen mal genauer an. Und beginnen wir weit weg von der deutschen Wirklichkeit, im Iran:

Im Iran sind mehr als 60 Prozent der MINT-Studierenden Frauen, in Deutschland gerade mal 35 Prozent, wird Lehramt abgezogen, noch deutlich weniger.

Warum ist das so?

Iran ist extrem patriarchal: Männern und Frauen werden klare Rollen zugewiesen. Frauen unterliegen strengsten Kleidervorschriften. Widersetzen sie sich, kann das tödlich enden.

Nun kursiert die These, Frauen in muslimischen Ländern würden häufiger MINT-Fächer studieren, weil sie durch das Kopftuch geschützt würden, weil das Kopftuch sie freier mache. Und dazu werden tatsächlich „Studien“ durchgeführt. Wobei ich mich frage, welche ideologischen Motive diesen Arbeiten zugrundeliegen. Im Januar zog Thieme Medien einen Artikel aus einer wissenschaftlichen Zeitschrift zurück, der unter Umgehen der Peer-Review dort publiziert worden war.  Ein türkischer Kinderarzt vertrat genau diese These und empfahl Schulprogramme, die Mädchen das Tragen von Kopftüchern nahelegen.

Es gibt auch eine andere Interpretation der Zahlen: Im Iran sind die Geschlechterrollen strikt getrennt. Das bedeutet nicht nur Unfreiheit für Frauen, sondern auch Pflicht für Männer, schnell Geld zu verdienen. So wechseln viele direkt nach dem Bachelor in den Arbeitsmarkt. Für Frauen dagegen ist die Flucht in die Bildung eine Chance, aus der Enge iranischer Frauenrollen auszubrechen und sich ein Stück Freiheit und Unabhängigkeit zu sichern. Also studieren sie weiter. MINT-Fächer sind dafür offenbar besonders geeignet. Auch hier ließe sich weiter forschen: Welche Fächer studieren iranische Frauen und was sind ihre Motive? Aber zurück nach Europa

Wie unterscheiden sich die MINT-Studierendenzahlen in Europa und woran könnten diese Unterschiede liegen? Zahlen aus 2021, sortiert nach MINT mit Bachelor und MINT mit Master zeigen: Einen Frauenanteil von 40 Prozent und mehr mit MINT-Master haben so unterschiedliche Länder wie Bulgarien, Dänemark, Griechenland, Italien, Litauen, Luxemburg, Polen, Rumänien und Zypern. Wie kommt das?

Und noch etwas ist auffällig: Die Frauenanteile mit Master-Abschluss sind sind fast durchweg höher als bei den Bachelor-Abschlüssen.

Das spricht für das Argument, das auch für den Iran angeführt wird: Besonders in stark patriarchal geprägten Ländern sind Männer gefordert, schnell Geld zu verdienen. Das führt dazu, dass sie häufiger direkt nach dem Bachelor in den Arbeitsmarkt gehen. Frauen dagegen schützen sich vor einem engen Rollenkorsett als Ehefrau und Mutter, indem sie sich in Bildung flüchten. Technische Berufe versprechen Freiheit und Unabhängigkeit.

Dieser Anstieg des Frauenanteils beim Master im Vergleich zum Bachelor ist bei fast allen Ländern mal stärker, mal schwächer ausgeprägt sichtbar, außer bei den Zahlen für Frankreich, Österreich, Schweden

Warum? Was ist in Frankreich, Österreich und Schweden anders?

Ich kann diese Frage nicht mit einer kurzen Blogartikel-Recherche beantworten. Aber es lohnt sich, ihr in aller Differenziertheit nachzugehen und nicht auf die ersten Impulse hereinzufallen, die uns unsere Vorurteile suggerieren. Denn Vorurteile haben wir alle. Und wir alle unterliegen dem Confirmation Bias, dem Bestätigungsfehler.

Wirkliche Erkenntnisse gewinnen wir aber nur, wenn wir uns erlauben, unser Weltbild infrage zu stellen und in strikter Trennung von Korrelation und Kausalität ergebnissoffen und erkenntnisorientiert fragen, recherchieren, forschen.

Die Gender Pay Gap in Deutschland: 7 Prozent im Osten, 19 Prozent im Westen

Zurück zur Gender Pay Gap: Die Gender-Pay-Gap 2023 betrug in Deutschland 18 Prozent, 19 Prozent in Westdeutschland, 7 Prozent in Ostdeutschland. Der EU-Durchschnitt lag 2021 bei 12,7 Prozent. In den USA beträgt die Gender Pay Gap 16 Prozent.

Woher kommt der große Unterschied zwischen den neuen und den alten Bundesländern?

Ein Argument ist die immer noch spürbare andere Prägung durch 40 Jahre in der DDR oder der BRD, samt den gesellschaftlichen Strukturen und Werten, die daraus entstanden sind. In der DDR gab es eine ausgebaute Kinderbetreuung und Frauen als Werktätige in allen Berufen waren gern gesehen. Menschen in der DDR sind damit aufgewachsen, dass beide Eltern arbeiten gehen und finden das normal. Bisweilen versprach eine Heirat plus Kind sogar, schneller an eine der begehrten Wohnungen zu kommen. In der BRD dagegen standen berufstätige Mütter ständig unter Generalverdacht, irgendwie schlechte Mütter zu sein.

Was in West und Ost gleich war: Die obersten Führungspositionen waren Männern vorbehalten. Um Haushalt und Kinder kümmerten sich Frauen.

Ein zweites Argument in Bezug auf die Unterschiede bei der Gender Pay Gap in den neuen und alten Bundesländern liegt im allgemeinen Lohnniveau. Denn die Bezahllücke wird getrieben von den Top-Gehältern. Und die gibt es im Westen deutlich häufiger als im Osten.

Das sehen wir auch im internationalen Vergleich: In Ländern mit einem sehr niedrigen Lohnniveau ist tendenziell auch die Gender Pay Gap geringer. In ehemals sozialisitischen Gebieten teils ebenfalls. Es gibt aber auch Widersprüche in den Zahlen.

Eine seriöse und erkenntnisorientierte Forschung geht zu diesen Widersprüchlichkeiten und fragt weiter: Warum? Welche Einflussfaktoren wirken hier und was bedeutet das für meine These?

Und noch ein Zahlendetail, das wichtig ist: Für Deutschland sehen wir, dass sich der Verdienstunterschied zwischen Männern und Frauen genau dann statistisch bemerkbar macht, wenn Frauen durchschnittlich das erste Kind bekommen.

Die Gender Pay Gap hängt also nicht nur mit dem Geschlecht zusammen, sondern auch mit der Mutterschaft. Die Sorgearbeit für den Nachwuchs ist zwischen Eltern ungleich verteilt. Und Menschen in Teilzeitjobs werden oft pro Stunde schlechter bezahlt und haben weniger Karrierechancen als Menschen in Vollzeitjobs.

Aber ist das der einzige Grund? Gibt es weitere Ursachen? Forschungen zum Thema Motherhood Penalty versuchen, diesem Phänomen nachzuspüren.

Es ist bequem, auf der Oberfläche zu bleiben, Forderungen zu stellen, Kritik zu üben oder alles abzuwiegeln. Nur ändert sich dadurch nichts. Wenn wir wirklich mehr Geschlechtergerechtigkeit wollen, müssen wir genau hinsehen, damit wir Maßnahmen ergreifen, die wirklich etwas ändern.

Die bereinigte Gender Pay Gap: Lohnverhandlungen

Wenn wir Aspekte wie Mutterschaft, Teilzeit, Berufswahl herausrechnen, bleibt immer noch eine Gender Pay Gap übrig, die sogenannte bereinigte Gender Pay Gap. Es heißt, sie ließe sich nicht erklären. Und dann wird häufig so argumentiert, dass Frauen am erklärbaren Teil ja selber entschieden und dies keine Diskriminierung darstelle.

Ich finde diese Argumentation befremdlich: Denn zum einen es ist nicht minder ungerecht, dass die Hauptlast an Haushalts- und Sorgearbeit an den Frauen und Müttern hängt. Und was ist eigentlich gerecht daran, dass im Bereich Automotive so viel mehr bezahlt wird als im Bereich Soziale Arbeit?

Zum anderen gibt es natürlich Argumente, die plausibel erklären, warum Frauen für die gleiche Arbeit im gleichen Beruf weniger Geld bekommen, wenn dies nicht formal von außen anders festgelegt wird. Aber diese Ursachen sind weniger konkret als eine statistische Variabel zu berechnen. Das ist eigentlich gemeint, wenn es um erklärbar/nicht erklärbar geht. Nicht das Maß an Ungerechtigkeit dahinter.

Betrachten wir also den Bereich, der schwer greifbar ist, weil er an patriarchal erlernten Verhaltens- und Erwartungsmustern liegt, die sehr diffus und oft unbewusst wirken.

Eines dieser Muster ist die weibliche Sozialisation zur Zurückhaltung, Anpassung, zum Zufriedensein mit dem, was angeboten wird. Ein anderes Muster ist unsere Gewohnheit. Wenn Frauen also häufiger zurückhaltender in ihren Lohnforderungen sind und gleichzeitig ein niedrigeres Lohnniveau gewohnt sind, geben sie sich mit weniger zufrieden und bekommen dann auch weniger. Gleichzeitig empfinden Arbeitgeberinnen niedrigere Lohnforderungen von Frauen als normal. Wenn eine Frau fordernd auftritt, wird ihr das schnell negativ ausgelegt, einem Mann nicht.

Diese Geschlechterstereotype, Erwartungen wie Gewohnheiten, wirken bei den Verhandlungen um das konkrete Gehalt. Das gilt auch für die Frage, inwieweit eine Person eine Eingruppierung in eine niedrigere Tarifgruppe akzeptiert.

Was verdienen die anderen? Lohntransparenz und Zertifizierung von Gehaltsstrukturen

Was glaubst du, würde passieren, wenn alle wissen, wie viel Geld die Kolleg*innen verdienen und warum? Wie wirkt es sich aus, wenn Unternehmen sich einem Gehalts-Check unterziehen und ihre Gehaltsstrukturen unabhängigen Prüfer*innen gegenüber begründen müssen?

Island hat 2018 ein solches Gesetz eingeführt. Die Gender Pay Gap betrug dort im privaten Sektor 2018 13,8 Prozent, 2021 waren es noch 10,4 Prozent. Und natürlich wäre es zu kurz gegriffen, diesen Effekt alleine auf diese Gesetzesänderung zurückzuführen. Wer anfängt, nach dem Warum zu bohren, entdeckt viele weitere offene Fragen. Das ist mühsam, aber effektiv, wenn es darum geht, etwas nachhaltig verändern zu wollen.

Das Entgelttransparenzgesetz in Deutschland empfinde ich als zahnlosen Tiger: In Island müssen sich Unternehmen ab 25 Beschäftigte zertifizieren lassen. In Deutschland haben Arbeitnehmer*innen einen Auskunftsanspruch, aber nur bei Unternehmen mit mehr als 200 Beschäftigten. Das sind zwei völlig verschiedene Gesetze.

Und Deutschland muss nacharbeiten. Im Juni 2023 ist die Lohntransparenz-Richtlinie der EU in Kraft getreten. „Die EU-Länder haben jetzt drei Jahre Zeit, es in nationales Recht umzusetzen. In Deutschland müsste also spätestens im Jahr 2026 ein angepasstes Gesetz zur Gehaltstransparenz in Kraft treten“, schreibt HR Works.

Wie glaubst du, tun Frauen, wenn sie genaue Infos darüber haben, welches Gehalt männliche Kollegen im gleichen Aufgabenbereich bekommen? Genau, sie fordern mehr; beziehungsweise: gleiche Bezahlung für gleiche Leistung.

Wie passen Transpersonen in die Gender Pay Gap?

Jetzt habe ich die ganze Zeit von Frauen und Männern geprochen. Wie aber passen Transpersonen, nicht-binäre Personen oder Interpersonen in diese Statistiken? Das ist wirklich schwer zu sagen. Wir haben gesehen, dass die Ungleichbehandlung in Sachen Löhnen von vielen Faktoren geprägt wird. Besonders markant:

  • die geschlechtsspezifisch unterschiedliche Sozialisation
  • die potenzielle Schwangerschaft und Mutterschaft
  • die tatsächliche Schwangerschaft und Mutterschaft
  • die gesellschaftliche Wahrnehmung als Mann oder Frau mit entsprechenden Erwartungen

Trans-oder Interpersonen hier korrekt einzuorden, ist schwierig und letztlich eine Frage des Einzelfalls. Ein befreundeter Transmann erzählte mir, als seine Frau im Krankenhaus entbunden wurde, wurde er behandelt wie ein Mann, weil das Pflegepersonal einen Mann gesehen hat. Ähnlich dürfte das einer jungen Transfrau mit gutem Passing gehen. Sie wird, soweit sie ihre Transidentität nicht thematisiert, als biologische Frau gelesen und behandelt.

Ist die Transidentität hingegen bekannt, kann sich das umgekehrt auswirken. Denn für die HR-Wirklichkeit ist es die potenzielle Schwangerschaft, samt Mutterschutz, potenziellem Ausfall wegen Kinder, Teilzeiverfügbarkeit…, die im Hinterkopf bei der Bewertung mitlaufen. Und die hängen nun nicht an einer Identität, sondern an evolutionsbiologischen Voraussetzungen.

Die Sozialisationseffekte sind auch bei biologischen Männern und Frauen unterschiedlich stark. Wir können nicht von dem statistischen Wert auf den Einzelfall schließen. Und das gilt natürlich auch für Trans- und nicht-binäre Personen, ebenso für Interpersonen. Wenn du betroffen bist, so überlege bitte selbst, ob du eher als Junge oder eher als Mädchen sozialisiert worden bist, und wie sich das bei dir ausgewirkt hat und auswirkt.

Schwangerschaft und Geburt wiederum beziehen sich ausschließlich auf Frauen und Transmänner oder nicht-binäre Personen, soweit sie über Eierstöcke und Gebärmutter verfügen.

Dieser Bloartikel kann auch prima als praktischer Anwendungsfall zum vorangegangenen Blogartikel betrachtet werden, bei dem ich die Begriffe Geschlecht und Gender sowie andere geschlechtsbezogenen Wörter und die Thesen dahinter betrachte und entwirre. Wie verändern sich unsere Daten und Statistiken und ihre Aussagekraft, wenn nicht mehr das evolutionsbiologische Geschlecht Grundlage der Datenerfassung ist, sondern die Geschlechtsidentität?

Ein Plädoyer für das Differenzieren

Zu akzeptieren was ist, ist der erste Schritt, etwas zu ändern, hat eine kluge Frau mal zu mir gesagt. Damit das gelingt, muss das Ist forschend und erkenntnisinteressiert betrachtet und nicht mit vorschnellen oberflächlichen Erklärungen in das eigene Weltbild eingemeindet werden.

Im nächsten Schritt können wir verstehen, warum Dinge sind, wie sie sind. Was daran ist verändlich? Was nicht? Und welche Maßnahmen versprechen den gewünschten Erfolg?

Was die Lohnungerechtigkeit angeht, halte ich Gehaltstransparenz für einen sehr wirksamen Hebel. Und zwar in einem Stil, in dem Unternehmen verpflichtet werden, ihre Gehaltsstrukturen zu begründen, etwa durch eine Zertifizierung. Die so ermittelten Daten wiederum können in anonymisierte Statistiken fließen, die dann allen frei zur Verfügung gestellt werden.

In Bezug auf die Ungerechtigkeiten bei den Nettoeinkommen wäre es sinnvoll,  wenn Ehepaare automatisch in Steuerklasse IV/IV geführt würden. III/V kann ersatzlos entfallen, ohne dass Ehepaare auch nur einen Euro mehr Steuern zahlen. Die gemeinsame Steuerlast wird dann nur gleichberechtigter auf allen Schultern verteilt. Und Singles oder Alleinerziehende haben ja auch keine Wahl, sondern werden automatisch in einer bestimmten Steuerklasse geführt.

Ich wünsche mir für die überhitzten, oft sehr ideologisch geführten Debatten unserer Tage: mehr Ruhe, mehr Differenzierung, mehr Neugier, mehr Entdeckergeist – und mehr lösungsorientierten Pragmatismus.

Statistiken im Überblick

Gender Pay Gap Deutschland, destatis: https://www.destatis.de/EN/Themes/Labour/Earnings/GenderPayGap/_node.html

Gender Pay Gap Deutschland, destatis Pressemeldung: https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2024/01/PD24_027_621.html

Gender Pay Gap EU, Eurostat: https://ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index.php?title=Gender_pay_gap_statistics

Gender Pay Gap in der EU, destatis: https://www.destatis.de/Europa/DE/Thema/Bevoelkerung-Arbeit-Soziales/Arbeitsmarkt/Qualitaet-der-Arbeit/_dimension-1/07_gender-pay-gap.html

Gender Pay Gap USA, Forbes: https://www.forbes.com/advisor/business/gender-pay-gap-statistics/

Gender Pay Gap Frankreich 2012 bis 2021, destatis: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/780046/umfrage/gender-pay-gap-in-frankreich/

Gender Pay Gap Italien 2011 bis 2021, destatis: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/780060/umfrage/gender-pay-gap-in-italien/

Gender Pay Gap Island 2011 bis 2021, destatis: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/780349/umfrage/gender-pay-gap-in-island/

Durchschnittlicher Bruttomonatsverdienst nach Wirtschaftsbereichen und Geschlecht im April 2023, destatis: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/2916/umfrage/verdienst-nach-wirtschaftsbereichen-geschlecht-teilzeit/

Gender Gap Índex nach Weltregionen 2023, destatis: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1329757/umfrage/ranking-der-welt-nach-global-gender-gap-index/

Julia Sica: Hijab gegen Belästigung: Bizarre Studien eines Kinderarztes werden zurückgezogen, 12. Januar 2024, Der Standard, https://www.derstandard.de/story/3000000202685/hijab-gegen-belaestigung-bizarre-studien-eines-kinderarztes-werden-zurueckgezogen

Retraction Watch: Studies claiming Islamic practices protect against disease and sexual harassment retracted, https://retractionwatch.com/2024/01/09/studies-claiming-islamic-practices-protect-against-disease-and-sexual-harassment-retracted/

Thieme: Retracted Article: Hijab Protects Adolescent Girls and Women from Sexual Harassment, https://www.thieme-connect.de/products/ejournals/abstract/10.1055/s-0043-1769481

Elvira Weisenburger: Paradox: Mehr Gleichberechtigung heißt auch weniger Ingenieurinnen, 8. März 2021, https://bnn.de/karlsruhe/karlsruhe-stadt/paradox-mehr-gleichberechtigung-heisst-auch-weniger-ingenieurinnen

EU – MINT-Studierende nach Geschlecht, destatis: https://www.destatis.de/Europa/DE/Thema/Bevoelkerung-Arbeit-Soziales/BildungKultur/MINT_Tabelle.html

HR Works: Gehaltstransparenz: Das bedeutet die EU-Richtlinie https://www.hrworks.de/news/gehaltstransparenz-das-aendert-sich-durch-die-eu-richtlinie/

Entgelttransparenz: Der aktuelle Gender Pay Gap in Deutschland, Equal Pay Day, https://www.equalpayday.de/informieren/

Beitragsbild: Sigi Lieb

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