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Identität – Kulturspezifische Erinnerungen: Schlümpfe und Schtroumpfs – Folge 21

Eva Bodinet ist im Rheinland aufgewachsen und lebt seit vielen Jahren in einem Vorort von Paris. Über die Jahre und die sozialen Bindungen, ist ihr Saint Ouen bei Paris ebenso Heimat geworden, wie Monheim am Rhein oder Köln. Die 48-jährige arbeitet in einer Fotoagentur, malt und baut Requisiten. Als Künstlerin taucht sie tief in sich, ihre Familiengeschichte und die Zusammenhänge zu ihrem Leben ein und lebt sie aus. Wieder eine neue Sicht auf die Welt! Viel Spaß beim Lesen.

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Interview:

Wie würdest du deine Einstellung zum Thema Identität oder Identitäten beschreiben? Hat sie sich im Laufe deines Lebens verändert?

Eva mit FotoapparatIdentität ist ein sehr kompliziertes Gebilde, das sich für mich lange vor allem aus Einflüssen meiner engsten Umgebung konstruierte: Familie, Familiengeschichte, enge, zum Teil sehr langjährige Freunde, sowie auch eigenen Vorlieben, so meiner Passion für Literatur und Kunst. Ich fühle mich und habe mich immer als Künstlerin gefühlt, selbst wenn das nicht der Beruf ist, der mich ernährt. Spätestens während meines Aufenthalts in Dublin wurde ich zunehmend mit der Frage nach einer nationalen Identität konfrontiert. Während meiner Zeit als Assistant Teacher in Dublin zum Beispiel spielte ich einmal mit meinen Schülern das Spiel, bei dem man den Namen einer bekannten Persönlichkeit auf der Stirn stehen hat und per Fragen herausfinden muss, wer man ist, Meine Schüler hatten mir „Hitler“ auf die Stirn geschrieben und fanden das sehr lustig, ich weniger. In der Diskussion danachIdentität - Bilder die man sieht oder nicht sieht wurde mir bewusst, dass das keineswegs als Beleidigung gemeint war, sondern die Schüler einfach ohne nachzudenken die für sie geschichtlich bekannteste deutsche Person gewählt hatten, ohne sich darüber im Klaren zu sein, dass es mir unangenehm sein könnte mit dieser Person identifiziert zu werden.

Bist du oft umgezogen? In welchen Ländern und an welchen Orten hast du gelebt?

Geboren bin ich im Saarland, aber als ich ein Jahr alt war,  zogen wir ins Rheinland. Meine gesamte Jugend bis zum Studienbeginn habe ich in der gleichen kleinen Stadt zwischen Düsseldorf und Köln verbracht. Mit Beginn des Studiums zog ich von dort nach Paderborn, dann nach Wuppertal, also immer Orte, die von meiner Heimatstadt entfernt, aber nicht zu weit weg waren, immer im gleichen Bundesland. Mit Ausnahme einiger Monate in Berlin, wo ich allerdings Verwandte habe, die ich bis dahin nicht kannte, aber dann kennengelernt habe und den Kontakt bis heute halte. Während des Studienjahres am UCD (Dublin) war ich nicht ein einziges Mal in Deutschland, selbst Weihnachten blieb ich in Irland auf dem Land, denn ich wollte alle Momente des Jahres dort, in der anderen Kultur, erleben.

Gibt es eine Phase in deinem Leben, in der du dich stark umstellen musstest, weil plötzlich alles anders war? Was war das Schwierige?

Nichts, abgesehen von natürlichen Verlusten, Trennungen von Freunden, Tod meines Vaters, und so sehr das auch schmerzlich war, hat es keine radikale äußerliche Veränderung hervorgerufen, der ich mich hätte stellen müssen.

Recherche kostet Zeit

Ich investiere viel Arbeitszeit in meine Blogbeiträge, beachte journalistische Kriterien und stelle viel weiterführende Information zur Verfügung. Das alles stelle ich kostenlos für alle zur Verfügung – ohne bezahlte Werbung auf meiner Seite. Aber natürlich muss auch ich im Supermarkt mit Euros bezahlen. Daher freue ich mich, wenn du meine ehrenamtliche redaktionelle Arbeit unterstützt.

Denk bitte an deine Grundschulzeit. Welche Bilder, Gefühle und Erlebnisse aus dieser Zeit sind dir präsent? Was ist dir aus deiner Jugend als besonders wichtig in Erinnerung?

Schattenbild - Eva und ihre SchwesterIch bin gerne zur Schule gegangen, denn da ich immer viel Zeit alleine zu Hause verbracht habe, war Schule für mich der Ort, wo ich meine Freunde sah. An unangenehmen Momenten aus der Grundschulzeit sind mir ein paar kleinere Ereignisse in Erinnerung geblieben: Einmal bin ich in Pantoffeln zur Schule gegangen. Ein andermal habe ich mir einen Zahn angeschlagen, weil ich beim Blinde-Kuh spielen vor einen Müllcontainer gelaufen bin. Einmal musste meine Mutter mich abholen, weil mir beim Anblick von Fotos hungernder Kinder in Afrika übel geworden war. Aus meiner Jugendzeit sind mir vor allem die Zeit der ersten großen Liebe, sowie die vielen Theaterprojekte, an denen ich mitwirkte in Erinnerung. Beides war gleichermaßen daran beteiligt, meine Identität zu definieren und mein Selbstbewusstsein zu stärken. Ich denke, ich kann meine Kindheit und Jugend ohne Übertreibung gut behütet und glücklich nennen.

Was bedeutet für dich Heimat und wo fühlst du dich heute zuhause? Welche Bilder, Gerüche oder Gefühle verbindest du mit dem Begriff Heimat?

Eva mit BegleitungHeimat ist da, wo für mich wichtige und nahe Menschen sind, Familie und enge Freunde, aber auch, wo ich einen Ort zum Leben gefunden habe: einen Mann mit dem ich das Leben teile, eine Wohnung, in der ich mich wohl fühle, einen Job, der mir gefällt, Freunde in der Nähe, mit denen man mal eben schnell einen Kaffee (deutsch) bzw. Aperitif (französisch) trinken gehen kann. So gesehen ist eher Frankreich, oder um genau zu sein, Saint Ouen bei Paris, meine Heimat geworden. Nichtsdestotrotz bleibt mir ein Heimatgefühl für Deutschland, dass vor allem auf den Erinnerungen der dort verlebten Zeit basiert, und besonders dann hervorgerufen wird, wenn man von gemeinsam Gelebtem spricht, das kulturspezifisch ist. Das sind oft und vor allem ganz banale Sachen, die Schlager unserer Kindheit, Werbeslogans, ein Jugendbuch, oder –film, den alle bei uns kannten, aber der nicht über die deutschen Grenzen hinaus bekannt ist. Und selbst wenn es sich um internationale Erfolge handelt, die Namen sind nicht gleich: Keiner in Deutschland kennt die Schtroumpfs, aber jeder weiß, was Schlümpfe sind. Niemand hat je von Fifi Brindacier gehört, aber Pippi Langstrumpf kennen natürlich alle meine deutschen Freunde! Dann natürlich auch Gerichte, die man zu Hause gegessen hat, die in meiner neuen Heimat wenig üblich sind: frisches Graubrot, Heringsstipp, Zuckerrübenkraut – aber bitte den Grafschafter Goldsaft in dem gelben Pappbecher -, Apfelpfannekuchen… Insgesamt kann ich sagen, dass ich mich sowohl in Deutschland als auch in Frankreich zu Hause fühle, aber da ich immer in dem einen Land, an das erinnert werde, was „anders“ ist, fühle ich mich in Deutschland oft französisch, während ich mich in Frankreich immer noch deutsch fühle.In Deutschland fühle ich mich oft französisch und in Frankreich deutsch. Share on X

Stell dir vor, du musst wegziehen in eine weit entfernte Stadt oder sogar in ein anderes Land. Welche drei Dinge brauchst du unbedingt, damit du am neuen Ort ankommen kannst?

Etwas Persönliches, ein Objekt, das einen symbolischen Wert hat, zum Beispiel ein Erinnerungsstück an eine Person oder einen Moment. Das könnte ein Ring oder irgendein anderer kleiner Gegenstand sein. Dann: ein Dach über dem Kopf, ein Minimum an Sprachkenntnissen oder zumindest die Möglichkeit, mir diese vor Ort von Anfang an aneignen zu können.

Die Frage „Woher kommst du eigentlich?“ ist in Deutschland alltäglicher Gegenstand von Smalltalk. Jeder vorhandene oder fehlende Dialekt oder Akzent, das Aussehen und andere Merkmale werden zum Anlass von Fragen, manchmal aus Neugierde, manchmal um über etwas anderes als das Wetter zu reden und manchmal belastet von Vorurteilen und Erwartungen. Was denkst du über die Frage und wie gehst du damit um, wenn du auf deine Herkunft angesprochen wirst?

Eva bei der Arbeit, Identität als KünstlerinIch finde, dass das eine sehr wichtige Frage ist, wenn man sie aus Interesse für die Vielfalt der existierenden Lebenssituationen stellt. Es ist immer bereichernd, einen Menschen von seiner Kultur und Herkunft erzählen zu hören. Natürlich kann das problematisch sein, für Menschen, die aufgrund von Vorurteilen ständig mit dieser Frage konfrontiert werden. Als jemand, der viel Zeit unter glücklichen Umständen und freiwillig im Ausland gelebt hat und lebt, ist das für mich unproblematisch und ich beantworte die Frage gerne – und stelle sie auch meinem Gegenüber, denn ich finde den Austausch darüber woher man kommt und wieweit man sich mit dem Herkunftsort und dem Ort in dem man sich befindet verbunden fühlt,  interessant. Ob man nun von unterschiedlichen Regionen der Erde, anderen Ländern, oder auch nur einem Ortswechsel innerhalb eines Landes spricht.

Gibt es andere Fragen als die nach der Herkunft, die du gefühlt jedes Mal gestellt bekommst, wenn du auf neue Menschen triffst? Welche und was machst du, wenn du davon genervt bist?

Eva auf dem LandWas ich als wenig angenehm empfinde, sind Bemerkungen und Fragen, die in irgendeiner Form Klischees zum Ausdruck bringen, zum Beispiel Bemerkungen in französischer Sprache, die mit übertriebenem deutschen Akzent hervorgebracht werden, oder in deutscher Sprache mit (ungewollt) übertriebenem französischem Akzent. Bei vielen Dingen kommt es vor allem darauf an, wie die Fragen formuliert sind, inwieweit sie Interesse ausdrücken, oder vorgefällte Urteile, die oft auf Vergleichen basieren. Wenn man mir sagt „Ich kenne kaum deutsche Weine, was gibt es denn da so?“, kann man sich besser austauschen, als wenn man mich, wie es in Frankreich oft geschieht, mit der Frage konfrontiert „Gibt es in Deutschland eigentlich auch gute Weine?“

Gibt es einen Glaubenssatz, der dich leitet und begleitet?

Ich finde es sehr schwierig, Überzeugungen in einem einzigen Satz zu formulieren.

Was ist für dich die größte Herausforderung unserer derzeitigen Gesellschaft?

Toleranz und Verständnis zu fördern, die ermöglichen, dass Menschen sehr unterschiedlicher Kulturen auch relativ eng nebeneinander leben können. Bewusstsein für die Bedeutung unserer sozialen und unserer physischen Umwelt zu wecken, die uns auf lange Sicht ermöglicht respektvoll mit anderen Menschen und mit unserer Umwelt umzugehen.

Wenn du die freie Wahl hättest, wo möchtest du gerne leben?

Skyline von St Ouen bei Paris

Ich habe das sehr große Glück die Wahl zu haben und möchte, im Moment, genau da leben, wo ich bin.

Vielen Dank für das Gespräch.

* Die Bilder wurden von Eva Bodinet zur Verfügung gestellt.

 ** Eva Bodinet hat sich als Künstlerin zum Thema gemacht, U-Bahnen zu fotografieren und diese in Gemälde einzubinden. Ihre Werke stellt sie in Frankreich und Deutschland aus. Mehr Informationen zu ihrer Künstlerischen Arbeit finden sie hier: http://www.artclub-galerie.de/kuenstler/bodinet/  Ausstellungstermine veröffentlicht sie auf ihrer Facebook-Seite: Eva Bodinet – ART.

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