Cem Kaya* ist das, was hierzulande oft Deutschtürke genannt wird, wobei er streng genommen Deutscher mit kurdischem Elternhaus ist. Viel eher aber ist Cem ein echter Ruhrpott-Junge. Außerdem ist er Beamter und Lehrer. Er spricht Deutsch, Türkisch, Kurdisch, Englisch und Französisch. Der 43-jährige nimmt es gelassen mit den Zuschreibungen, die ihm begegnen.
Interview:
Wie würdest du deine Einstellung zum Thema Identität oder Identitäten beschreiben? Hat sie sich im Laufe deines Lebens verändert?
Je älter ich werde, umso deutscher werde ich auch. Meine Identität ist eine gesunde Mischung aus deutsch, türkisch, kurdisch und alevitisch.
Bist du oft umgezogen? In welchen Ländern und an welchen Orten hast du gelebt?
Ich bin in Deutschland geboren und aufgewachsen, genauer gesagt in Duisburg. Umgezogen bin ich innerhalb Duisburgs und zum Studieren nach Münster.
Gibt es eine Phase in deinem Leben, in der du dich stark umstellen musstest, weil plötzlich alles anders war? Was war das Schwierige?
Ja, das war, als mein Vater mit 45 Jahren plötzlich gestorben ist. Er war immer der Fels in der Brandung in unserer Familie und auf einmal war er nicht mehr da. Ich war damals 27 Jahre, konnte mit dem plötzlichen Verlust und meiner Trauer selbst überhaupt nicht umgehen und fühlte mich gleichzeitig verantwortlich, mich um meine Mutter und meine Schwester zu kümmern, was ich bis heute auch gerne tue. Meine Mutter war es stets gewohnt, dass ihr Ehemann alles regelt. Es war eine schwere Zeit mit vielen Umstellungen.
Was mich heute noch traurig macht, ist, dass mein Vater nicht sehen kann, was ihn stolz gemacht hätte, dass ich studiert habe und eine Wohnung gekauft und all so etwas. Gerne hätte ich ihm etwas von der Welt gezeigt. Er selbst hat sein Leben lang nur geschuftet.
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Denk bitte an deine Grundschulzeit. Welche Bilder, Gefühle und Erlebnisse aus dieser Zeit sind dir präsent? Was ist dir aus deiner Jugend als besonders wichtig in Erinnerung?
Ich war schlecht in der Grundschule und meine Eltern konnten mir nicht helfen. Sie hatten keine Ahnung vom deutschen Schulsystem. Ich erinnere mich an eine Erdkunde-Hausaufgabe in der Grundschule. Wir sollten aufschreiben, welche Stadtteile Duisburg hat. Mein Vater war nicht da, weil er arbeiten musste. Meine Mutter kannte nur die beiden Stadtteile, in denen wir gewohnt hatten. Die Lehrerin las dann meine Aufgabe vor und alle haben gelacht. Entsprechend bekam ich zunächst eine Hauptschulempfehlung. Erst dort, als ich schon auf die Hauptschule ging, haben meine Eltern begriffen, dass diese Schulform nicht geeignet ist, wenn man die Wahl haben möchte für einen guten Beruf. Dann kamen sie in die Schule, haben Druck gemacht und schließlich erreicht, dass ich auf eine andere Schule kam, auf ein Gymnasium. Helfen konnten sie mir freilich nicht bei den Schulaufgaben, meine beiden Eltern hatten nur eine sehr einfache Schulbildung. Aber emotional waren sie immer für mich da.
Als meine Eltern begriffen hatten, was Hauptschule bedeutet, haben sie in der Schule Druck gemacht. Share on XWas bedeutet für dich Heimat und wo fühlst du dich heute zuhause? Welche Bilder, Gerüche oder Gefühle verbindest du mit dem Begriff Heimat?
Heimat verbinde ich mit Deutschland oder noch besser mit Duisburg. Currywurst und Döner, beides finde ich in Duisburg.
Heimat verbinde ich mit Currywurst und Döner, beides finde ich in Duisburg. Share on XStell dir vor, du musst wegziehen in eine weit entfernte Stadt oder sogar in ein anderes Land. Welche drei Dinge brauchst du unbedingt, damit du am neuen Ort ankommen kannst?
Mutter, Schwester, Nichten.
Die Frage „Woher kommst du eigentlich?“ ist in Deutschland alltäglicher Gegenstand von Smalltalk. Jeder vorhandene oder fehlende Dialekt oder Akzent, das Aussehen und andere Merkmale werden zum Anlass von Fragen, manchmal aus Neugierde, manchmal um über etwas anderes als das Wetter zu reden und manchmal belastet von Vorurteilen und Erwartungen. Was denkst du über die Frage und wie gehst du damit um, wenn du auf deine Herkunft angesprochen wirst?
Souverän und gelassen. Ich nehme das nicht persönlich.
Gibt es andere Fragen als die nach der Herkunft, die du gefühlt jedes Mal gestellt bekommst, wenn du auf neue Menschen triffst? Welche und was machst du, wenn du davon genervt bist?
Nein.
Gibt es einen Glaubenssatz, der dich leitet und begleitet?
Die Grundpfeiler der alevitischen Vorschriften sind in einem Satz eline beline diline sahip ol vereint. Sie besagen Folgendes:
eline sahip ol: Beherrsche deine Hände. Es steht für das negative Potenzial, wozu Hände im Stande sind, also: Begehe keinen Diebstahl, zerstöre nicht und nutze Deine Hände für etwas Sinnvolles.
beline sahip ol: Beherrsche deine Lende. Die Lende steht als Synonym für Triebe, insbesondere sexueller Natur.
diline sahip ol: Beherrsche deine Zunge. Die Zunge steht für Kommunikation und dass sie oft durch Unwahrheiten, aber auch durch unbedacht gewählter Wortwahl missbraucht wird und letztendlich eventuell mehr Leid erzeugen kann als vielleicht ein Schwert (z. B. Meineid, Verleumdung, Rufmord).
Was ist für dich die größte Herausforderung unserer derzeitigen Gesellschaft?
Dumme Menschen kognitiv zu stärken. Im Unterricht versuche ich, die Leute aufzuklären. Ich unterrichte neben Sport auch Wirtschaftsrecht. Da versuche ich, die Leute zu ermuntern, unterschiedliche Seiten und Meinungen zu lesen und sich selbst ein Bild zu machen.
Wenn du die freie Wahl hättest, wo möchtest du gerne leben?
In Deutschland.
Vielen Dank für das Gespräch.
* Der Name wurde geändert. Die Fotos wurden entfernt. Schade: Stellt euch einen leicht angegrauten, attraktiven Mitvierziger vor, der auf alten Bildern aussah wie der junge Elvis. Die Gründe sind verständlich: Nachdem der Berufschullehrer trotz Namensänderung von seinen Schüler*innen im Netz gefunden worden war, hatte er darum gebeten. Der Beitrag war jetzt lange vom Netz und ist nun ohne Bilder wieder online.