Louise Huber-Fennell ist schon sehr oft umgezogen in ihrem Leben. Geboren in England, aufgewachsen in den Niederlanden und den USA lebt die 45-jährige heute im Ruhrgebiet. Ihre Familie ist über die Kontinente zerstreut. Wie betrachtet sie die Fragen nach Heimat und Identität? Lest selbst.
Interview:
Wie würdest du deine Einstellung zum Thema Identität oder Identitäten beschreiben? Hat sie sich im Laufe deines Lebens verändert?
Hmmm… Identität ist für mich meistens ein sehr flüssiges Konzept, wobei ich immer wieder feststelle, dass ICH meine Identität bin und ICH zum größten Teil, zumindest auf fundamentale Art und im Kern dieselbe geblieben bin. Aber der flüssige Teil drum herum ändert sich fast gezwungenermaßen. Wenn man so oft und weit umzieht, wie ich, ist erstmal alles was vertraut ist, weg. Ich glaube, dass ich, wie die meisten, sich zum Teil über ihr Umfeld identifizieren: ihre Familie, ihre Freunde, ihre Nachbarschaft, ihr Verein und ihr Hab und Gut. Wenn das auf einmal wegbricht, bist du erstmal oder schon wieder „nur“ DU. Meines Erachtens erfindet man sich nicht neu, aber wir haben alle viele verschiedene Facetten, und jeder von uns kann immer entscheiden, eine dieser Facetten in den Vordergrund zu stellen.
Bist du oft umgezogen? In welchen Ländern und an welchen Orten hast du gelebt?
Über die Jahre habe ich eine Sammelsurium von fast 20 verschiedenen „Zuhausen“ kumuliert. Diese verteilen sich über vier Länder und zwei Kontinente: Städte in England, ein Dorf an der Maas in den Niederlanden, verschiedene Vororte von Chicago am Michigan See und zuletzt im Ruhrpott bzw. in Mülheim an der Ruhr.
Gibt es eine Phase in deinem Leben, in der du dich stark umstellen musstest, weil plötzlich alles anders war? Was war das Schwierige?
Die erste große Umstellung war der Umzug in die Niederlande als ich sieben war. Da kannte ich die Sprache nicht und das vertraute Umfeld – meine Großeltern, unser Haus, das ich sehr mochte und die ersten Schulfreundinnen – musste ich hinter mir lassen. Ob das schwierig war? Na ja, sicherlich war das nicht einfach, aber es war auch spannend und abenteuerlich. An etwas besonders Schlechtes erinnere ich mich nicht. Das Aufwachsen dort habe ich immer als großen Gewinn empfunden.
Ich investiere viel Arbeitszeit in meine Blogbeiträge, beachte journalistische Kriterien und stelle viel weiterführende Information zur Verfügung. Das alles stelle ich kostenlos für alle zur Verfügung – ohne bezahlte Werbung auf meiner Seite. Aber natürlich muss auch ich im Supermarkt mit Euros bezahlen. Daher freue ich mich, wenn du meine ehrenamtliche redaktionelle Arbeit unterstützt.
Schwieriger fand ich dagegen das Umziehen vom idyllischen Dorf in den Niederlanden in einen wohlhabenden Vorort von Chicago mit 15 und voll in der Pubertät! Daran habe ich lange geknabbert und es hat etwa drei Jahre gedauert, bis ich es dort für mich als „home“ bezeichnen konnte. Obwohl Englisch meine Muttersprache war und immer noch ist, hatte ich einige sprachliche Defizite, die aufgeholt werden mussten. Ich fühlte mich in den ersten Jahren dort immer als Außenseiter – man wird sogar von den Behörden als „Alien“ bezeichnet – und genauso fühlte es sich für mich an.Ankommen ist schwer. Ich fühlte mich in den ersten Jahren als Außenseiter. Share on X
Der Umzug zurück nach Europa, nach Deutschland, brachte wieder neue Sprachbarrieren mit sich und im Ruhrpott gibt es eine ganz eigene Kultur – eine, die ich über die Jahre schätzen gelernt habe. Aber auch das war nicht auf Anhieb so. Am Anfang empfand ich die Menschen als schroff und unhöflich.
Ich habe das „Glück“, ein hellhäutiger und einigermaßen gebildeter Mensch zu sein und glaube, dass die Integration für mich viel leichter und schneller glückte, als bei manch anderen – und trotzdem war es sauschwer! Die deutsche Bürokratie ist nicht wirklich mein Freund. Meine Beziehung dazu fühlt sich eher wie furchtbar schlimme Kopfschmerzen vom Zu-oft-gegen-der-Wand-Laufen an. Viel Eigeninitiative musste ich an den Tag legen, um ein neues Netzwerk aufzubauen und mich beruflich aufzustellen. Daran arbeite ich nach 15 Jahren immer noch! Nach der Geburt meiner Tochter wuchs mein Kreis der Freunde und Bekannten glücklicherweise sehr sprunghaft. Aber das hat das Mutterwerden so an sich – mit oder ohne Umzug.Weiß, gebildet und wohlhabend geht Integration leichter und ist sauschwer. Share on X
In der jetzigen Lebensphase ist es für mich am schwersten, so extrem weit weg von meinen Eltern und Schwiegereltern zu sein, die in England und den USA leben. Sie haben selten die Chance, meine Tochter zu erleben, sie wachsen zu sehen und Erlebnisse mit uns zu teilen. Und ihnen geht es teilweise gesundheitlich nicht so gut und ich fühle mich so nutzlos, weil ich nicht für sie da sein kann. Das bereitet mich manchmal viel Kummer.
Denk bitte an deine Grundschulzeit. Welche Bilder, Gefühle und Erlebnisse aus dieser Zeit sind dir präsent? Was ist dir aus deiner Jugend als besonders wichtig in Erinnerung?
Die Preisschildsammlung des Nachbarmädchens unter dem Geländer am Bahnhof, Monchichis, Paddington, Kieselsteine hüpfen lassen an der Maas, mein BMX-Rad und selbstgebaute Schanzen, Höhlen bauen, im Weizenfeld liegen und zu den Sternen schauen, Leistungsturnen, Babypuppen, Speculaas, Sinterklaas, der mit dem Boot im Dorf ankam, meine ersten Katzen: Flopsie und Mopsie, Spieleabend bei meiner Freundin Sandra, mit der ich fast 40 Jahre befreundet bin, mein erster „Freund“ Jos, Reiten, Süßholzstangen, Dropjes (Lakritz), Mork und Mindy, ABBA… ach war das eine schöne und unbefangene Zeit.
Die Freundschaften, die ich trotz Außenseiterstatus damals geschlossen habe. Die sind heute noch stark. Und das unglaubliche Gefühl der Freiheit, als ich mit 16 meinen Führerschein bekam und in Begleitung von Erasure, The Cure oder The Police unter klarem blauen Himmel durch die unendlichen Weiten des Umlands von Chicago fuhr. Das ist und bleibt geil!
Was bedeutet für dich Heimat und wo fühlst du dich heute zuhause? Welche Bilder, Gerüche oder Gefühle verbindest du mit dem Begriff Heimat?
Der Begriff Heimat ist für mich schwer greifbar. Ich habe nach all den Jahren immer noch einen britischen Pass und bezeichne mich selbst auch als solche. Das sind meine Wurzeln und ich werde immer Britin sein – das ist klar. Aber wenn ich dort im Lande bin, wird mir klar, dass ich dort auch fremd bin. Ich habe einen anderen Akzent und andere Sitten, zum Beispiel trinke ich Tee ohne Milch. Ich habe noch sehr starke, fast greifbare Erinnerungen an meine Großeltern, vor allem an meinen Großvater. Er war Ingenieur und sehr kreativ. Unter anderem baute er in seiner Scheune, die stark ölig roch, eine bekannte Dampflok nach, die Kinder und Erwachsene tatsächlich über eine Bahnstrecke ziehen konnte. Mein Bruder und ich haben da Stunden lang mitgebastelt und herumgewerkelt. Bei ihm stand auch einen Oldtimer in der Garage, mit dem wir viele Fantasiereisen, abwechselnd am Steuer, vollzogen haben.
Dort wo meine Eltern jetzt wohnen, an der Ostküste Englands und in Virginia in den USA, das würde ich nicht als Heimat bezeichnen, obwohl ich mich da schon wohlfühle, aber Zuhause ist es nicht. Das Dorf, in dem ich in den Niederlanden aufgewachsen bin, ist ein Stück weit mit Heimatgefühlen verbunden. Ich fahre da mehrmals im Jahr hin und tanke eine gute Portion Nostalgie. Amerika ist nicht wirklich meine Heimat, aber ich fühle mich dort oft freier und ungehemmter als hier. Leider stehe ich gar nicht hinter den aktuellen politischen Entwicklungen – weder in England noch in Amerika. Und das alles wirkt sehr befremdlich. Somit stelle ich schon wieder kurz meine Identität in Frage, um dann wieder zu erkennen, dass trotz allem ICH immer noch ICH bin. Vielleicht bin ich dann meine Heimat – ist doch ganz einfach! Vielleicht bin ich dann meine Heimat – ist doch ganz einfach! Share on X
Stell dir vor, du musst wegziehen in eine weit entfernte Stadt oder sogar in ein anderes Land. Welche drei Dinge brauchst du unbedingt, damit du am neuen Ort ankommen kannst?
Ich könnte ohne Vieles zurechtkommen, aber um glücklich zu sein, hätte ich am liebsten meine Tochter, ein Telefon, so dass ich mit dem Rest meiner Familie in Verbindung bleiben kann und SCHOKALADE!
Die Frage „Woher kommst du eigentlich?“ ist in Deutschland alltäglicher Gegenstand von Smalltalk. Jeder vorhandene oder fehlende Dialekt oder Akzent, das Aussehen und andere Merkmale werden zum Anlass von Fragen, manchmal aus Neugierde, manchmal um über etwas anderes als das Wetter zu reden und manchmal belastet von Vorurteilen und Erwartungen. Was denkst du über die Frage und wie gehst du damit um, wenn du auf deine Herkunft angesprochen wirst?
Eigentlich ist es schön, dass die Leute sich für einen und die Herkunft interessieren. Aber mittlerweile ist mein Deutsch so gut und mein Akzent so gering, dass ich gar nicht mehr als Ausländerin eingestuft werde. Das ist für mich nur dann problematisch, wenn ich wegen Rechtschreib- oder Grammatikfehlern wieder als „Depp“ eingestuft werde.
Wenn überhaupt ist die Frage nur nervig, weil ich dafür keine schlichte, nette Antwort parat habe. Mein Lebensweg ist im Vergleich zu anderen doch etwas quirliger.
Gibt es andere Fragen als die nach der Herkunft, die du gefühlt jedes Mal gestellt bekommst, wenn du auf neue Menschen triffst? Welche und was machst du, wenn du davon genervt bist?
In den USA wurde ich oft von idiotischen Teenagern, die etwas „weltblind“ und ignorant waren und teilweise immer noch sind, gefragt, ob ich in Holland Holzschuhe getragen hätte. Und in Deutschland gibt es oft Leute, die alles an Amerika blöd finden, obwohl sie noch nie da waren. Das ist genauso ignorant, finde ich. Es gibt viel Gutes und Schönes in Amerika. Es ist ein wahnsinnig großes Land mit unendlich vielen Facetten, Landschaften und Kulturen. Schubladendenken ist einfach nicht angesagt, egal wo du wohnst.
Gibt es einen Glaubenssatz, der dich leitet und begleitet?
1) Bleib dir selber treu, tue Gutes und sei lieb zu dir selbst. 2) Das was mich nicht umbringt macht, mich stärker!
Was ist für dich die größte Herausforderung unserer derzeitigen Gesellschaft?
Nicht in Angst und Hoffnungslosigkeit zu zerfallen. Die Suche nach der Wahrheit stellt für mich eine der größten Herausforderungen dar. Es gibt unfassbar viele Informationen über viele Medien und dann werden wir gerade alle zur Tode algorythmisiert, dass ich mich frage, was nun echt ist und auch alle Perspektiven einer Sache objektiv darstellt.
Und ich glaube, dass wir uns schon längst nicht nur Sorgen um unseren Planeten machen sollten, sondern auch konkret handeln. Jeder von uns steht in der Verantwortung, zu überlegen wie er oder sie konkret zur Rettung der Umwelt beitragen kann. Wenn wir alle kleine und umsetzbare Maßnahmen ergreifen, dann können wir vielleicht noch das Schlimmste vermeiden. Ein Versuch ist es jedenfalls wert.
Wenn du die freie Wahl hättest, wo möchtest du gerne leben?
Ich träume öfter davon, dass alle Familienmitglieder nach Virginia ziehen und wir dort alle innerhalb von 30 Minuten Autofahrt bei einander wohnen. Die Chance, dass das Realität wird ist aber, prozentual gesehen, an einer Hand abzuzählen.
Vielen Dank für das Gespräch.
* Die Bilder wurden von Louise Huber-Fennell zur Verfügung gestellt. Das Foto im Titel, das mit der britischen Fahne und das Portrait im Park ganz am Ende hat das Fotostudio bildwerkeins – paul walther erstellt.