Sprache ist Kultur und schafft Identität. Nacira Bourega hat in Algerien Germanistik studiert. Sie promoviert über die kulturelle Identität beim Lernen von Fremdsprachen und in der fremdsprachigen Literatur. Wie das Denken in einer Sprache uns beeinflusst, darum geht es in dem Gastbeitrag von Nacira Bouregaa aus Algerien.
Über Facebook hatte mich die Anfrage erreicht, auf meinem Blog einen Gastbeitrag zu veröffentlichen. Ich freute mich, dass ich offenbar auch im Ausland wahrgenommen werde und war natürlich neugierig. Es hat sich gelohnt. Hier der Gastbeitrag:
Weitere Beiträge zum Thema Sprache, Sprachwandel und Sprachwirkung gibt es auf der Seite Sprache und Sprachwandel und in der gleichnamigen Rubrik.
Gastbeitrag von Nacira Bouregaa, bearbeitet von Sigi Lieb
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Identität – Was ist das?
Viele reden über Identität, aber: Was bedeutet Identität? Was ist kulturelle Identität? Welche Beziehung gibt es zwischen Sprache und Identität, zwischen Kultur und Identität? Mehrsprachigkeit, was bedeutet das? Ist sie Chance? Ist sie Risiko? Welche Rolle hat sie in der Sozioökonomie?
In einem Lexikon für Globalisierung heißt es: „Identität bedeutet wörtlich: „dasselbe seiend“, stammt aus dem Lateinischen, ursprünglich ein Begriff aus Philosophie und Mathematik; wird heute alltäglich und fachlich zur Beschreibung von Aspekten des Selbst von Personen und Gruppen verwendet.“
Wenn über die Identität gesprochen wird, stellen Philosophen sowie Psychologen immer die Frage: Wer bin Ich? Wie bin ich?
Und: Wer wird ich? Mit der Antwort verstehen wir ein Selbstkonzept oder Selbstwertgefühl, denn wir sprechen in diesem Fall über Ich und Selbst des Individuums, über sein Empfinden und sein Denken.
Identität und Sprache sind mit einander verbunden
Auf den Philosophen Descartes geht der Spruch zurück: „Ich denke, also bin ich.“ Damit beschreibt er eine Beziehung zwischen Denken, Sprache und Identität. Denn soweit in einer Sprache gedacht und interagiert wird, soweit wird eine Person auch durch diese Sprache geprägt. Die Sprache hat selbst eine eigene Kultur und spiegelt dadurch die Identität ihres Sprechers wider.
Die Sprache hat eine eigene Kultur und spiegelt die Identität ihres Sprechers wider. Share on XMit der Entscheidung, in einer bestimmten Sprache zu sprechen und zu interagieren, beeinflusst und spiegelt die Sprache die Mentalität des Menschen und sein Denken. Deshalb begrenzt die Zugehörigkeit einer Person zu einer Sprachgruppe ihre Identität. Mit einer Sprachgemeinschaft wähle ich gleichzeitig die Kultur dieser Gemeinschaft. Es gibt keine Sprache ohne Kultur und keine Kultur ohne Sprache. Denn die Sprache beeinflusst die spezifische Wahrnehmung von Lebenswirklichkeit.
Historische und narrative Identität(en)
Natürlich spielt die historische Dimension eine wichtige Rolle. Auch in einer globalisierten Welt ist jede Person kultur-tätowiert und nie kulturfrei. Gleichzeitig gibt es vielfältige kulturelle, politische und religiöse Richtungen. Deshalb sagen die Philosophen, dass die Identität aus Geschichten besteht. Wer war ich? Welchen historischen Hintergrund hat mein Leben? Mein Ich? Welche Kultur hat mich geprägt, als ich eine bestimmte Sprache sprach oder lernte? Was hat sie mir vermittelt?
Auch in einer globalisierten Welt ist jede Person kultur-tätowiert und nie kulturfrei. Share on XSprache als kulturelle Identität
Mit der Sprache konstruieren Sprecher ihre Identität in der sozialen Interaktion und kommunizieren diese an ihre Gesprächspartner und die Außenwelt. Und hier gelangen wir von der Sprache zur kulturellen Identität. Arnd Uhle definiert sie folgendermaßen: „Unter kultureller Identität wird die Gesamtheit der kulturell geprägten Werte samt der daraus resultierenden Weltsichten und Denkweisen sowie der ebenfalls kulturell geprägten Verhaltens- und Lebensweisen verstanden, die das Eigenbild einer Kulturgemeinschaft – namentlich einer Nation – prägen“
Die Literatur ist, wie die Sprache auch, ein gesellschaftliches Phänomen. Sie spiegelt die Mentalität des Menschen in einer Gesellschaft, je nach ihrem Schriftsteller. Denn Sprache ist eben nicht nur Instrument der Kommunikation oder Mittel der gesellschaftlichen Verständigung, sondern fungiert auch als Symbol individueller beziehungsweise nationaler Identität. Oder wie es Alexandre Ndeffo Tene ausdrückt: „Eine Sprache ist ein von einer bestimmten Kultur geprägtes System und kann demzufolge mit jener Kultur gleichgestellt werden.“
Die Sprache, in der ich schreibe
Wer bin ich, wenn ich denke? Wer bin ich, wenn ich in einer bestimmten Sprache denke? Besonders interessant ist die Auswirkung bei Menschen, die mehrsprachig sind, vielleicht auch in mehrsprachigen Gesellschaften leben, und sich entscheiden, in der einen oder anderen Sprache literarische, politische oder philosophische Texte zu schreiben. Viele algerische Autoren nutzen Französisch als Ausdrucksmittel in der Literatur und veröffentlichen auch in Frankreich. Wenn aber französische Verleger einen „Stil als nicht Französisch genug empfanden, „wurden die Texte entweder einfach abgelehnt oder korrigiert, das heißt ihrem eigenen Empfindungsvermögen angepasst.“
Es handelt sich um jene mehr oder weniger bekannten algerischen Schriftsteller, die sich in Frankreich darum bemühen, dass ihre Stimme gehört wird und ihre algerische Kultur sowie ihre Identität bekannt und anerkannt werden. Sie haben deshalb ganz bewusst beschlossen, in französischer Sprache zu schreiben, und zwar nicht nur Traktate und Berichte, sondern belletristische Werke, Romane, Novellen, Gedichte.
Algerische Schriftsteller, die in Französisch schreiben, gibt es schon seit der Kolonialzeit, weil diese Fremdsprache kolonisierte Pflichtsprache war. Roland Kühnel beschreibt es wie folgt: „Die Frankophonie trifft so nicht auf einen pragmatischen traditionellen Multilingualismus, sondern auf eine ausgeprägte kulturelle Mehrsprachigkeit.“
Mehrsprachiges Algerien
Algerien ist zweifellos ein mehrsprachiges und multikulturelles Land, das im Maghreb eine strategische Lage genießt und eine besondere Rolle im maghrebinischen Kulturkreis spielt. Der algerische Bürger beherrscht mindestens zwei Sprachen: Algerisch (Dialektarabisch) neben Französisch oder einer der Berbersprachen (Chaoui, Tuareg, Taschelhit, Tamazight oder Kabylisch). Jeder Dialekt und jede Hochsprache hat ihre Kultur und ihre Buchstaben, die miteinander verbunden sind wie Zwillinge.
Das soziokulturelle Algerien verwendet seit der Unabhängigkeit Algerisch beziehungsweise Arabisch als Nationalsprache und seit 1990 außerdem Tamazight (Berberisch). Französisch gilt in Algerien als Zweitsprache oder erste Fremdsprache, Englisch ist die zweite. Dritte und vierte Fremdsprachen sind Italienisch, Spanisch und Deutsch als Unterrichtsfach im Gymnasium. An den Universitäten werden natürlich weitere Fremdsprachen gelehrt, wie Russisch, Türkisch oder Chinesisch.
Sprache als Ausdruck von Zugehörigkeit
Viele Algerier lernen Französisch nicht nur, weil es ihnen im Beruf oder im Handel nützt, sondern auch, weil sie damit ein bestimmtes Zugehörigkeitsgefühl zu Ideen und Werten erhalten. Sie gehören indirekt zu dieser Sprache und zu ihrer Kultur. Entsprechend schlägt sich die Mehrsprachigkeit in Algeriens Alltag nieder. Algerier benutzen nicht nur Arabisch bei ihren politischen, ökonomischen und sozialökonomischen Handlungen, sondern auch lokale und regionale Dialekte sowie Französisch. Diese Mehrsprachigkeit ist in unseren nationalen und internationalen Medien präsent. Es gibt Zeitungen und Sendungen in französischer, arabischer und Berber-Sprache.
Sprache als Denkkonzept
Das Vokabular lässt Rückschlüsse darauf zu, welche kulturellen, gesellschaftlichen und ideologischen Konzepte einer Sprache zugrunde liegen. Kulturelle Identität finden wir auch in der Schreibästhetik: Jeder Autor pflegt seinen eigenen Schreibstil, bevorzugt bestimmte Vokabeln oder einen Dialekt. Dabei war der Autor selbst Leser, also Rezipient und übernahm aus fremden Texten beziehungsweise Sprachen nicht nur die Sprache, den Stil oder eine bestimmte Struktur, sondern auch eine Kultur. Wenn der Autor mit einer Sprache schreibt, interagiert er mit dieser Sprache. Er denkt vor dem Schreiben in einer bestimmten Sprache, das heißt, mit einer bestimmten Mentalität und Kultur.
So ist die kulturelle Identität eines Textes mit seiner Sprache verbunden. Der Schriftsteller, der über seine nationale Gesellschaft schreibt, aber mit fremder Sprache, bedient er sich zweier Kulturen: einer Kultur durch den Inhalt und der zweiten durch die Sprache. Hier spricht man von hybriden Texten und damit von Bikulturalität.
Kulturelle Identität und Dominanz
Den Begriff Identität benutzt Marx nicht, aber er spricht von einer das Denken und Handeln leitenden Ideologie einer Gesellschaft: Die Gedanken der herrschenden Klasse sind in jeder Epoche die herrschenden Gedanken. Die Sprache der herrschenden Ökonomie ist auch die herrschende in der Welt, wie aktuell zum Beispiel Englisch.
Wenn die ökonomische Macht eines Landes eine bedeutende Rolle spielt, wirkt sich das auf die Kulturvermittlung und Kulturversicherung aus. Anders ausgedrückt: Die Klasse, die die herrschende materielle Macht der Gesellschaft hat, hat zugleich die herrschende geistige Macht. Je stärker die Sozialökonomie eines Landes ist, und je verbreiteter Kultur und Sprache dieses Landes in der Welt sind, umso mehr beeinflusst dieses Land auch die globalen Organisationen und kulturellen Darstellungen.
Sprache und sozioökonomische Identität
Wer bin ich in der sozio-ökonomischen Gemeinschaft? Wie kann ich mein Ich oder Selbst entwickeln, um meine nationale Ökonomie zu entwickeln oder ihr dienen? Wie hilft mir die Fremdsprache oder die Fremdkultur, um meinem Land zu dienen, um neue Gedanken und Ideen zu vermitteln?
Wie wirkt sich Mehrsprachigkeit aus, wenn das alltägliche Miteinander in Wirtschaft und Gesellschaft so sehr von kultureller Identität geprägt ist? Der sozioökonomische Aspekt umfasst unter anderem die Art und Weise des Umgangs miteinander im Handel, in der Politik, der Wirtschaft, im Tourismus, der Werbung und so weiter. Welche Bedeutung hat hier also Mehrsprachigkeit in der internationalen Wirtschaft?
Wer in zwei Sprachen und Kulturen heimisch ist, kann leichter wechseln. Share on XIn zwei Sprachen und Kulturen heimisch zu sein wird als Chance bewertet. Wenn wir mehrsprachig aufwachsen und somit den Zugang zu unterschiedlichen Kulturen haben, wird unsere Kultur hybrid. Wie können leichter wechseln. Das ist ein ganz wichtiger Aspekt, weil es eine Bereicherung ist für jeden einzelnen und für die ganze Gesellschaft. Wir brauchen mehr kulturelle Kompetenz in der globalen Arbeitswelt.
Literatur, die für den Beitrag verwendet wurde und Zitatnachweise:
- Fernand Kreff, Eva-Maria Knoll, Andre Gingrich (Hg.), Lexikon der Globalisierung, transcript Verlag, Bielefeld 2011, S.143
- Alexandre Ndeffo Tene, (Bi)kulturelle Texte und ihre Übersetzung Königshausen und Neumann.Würzburg. 2004. S.141
- Duygu Dursun, „Doppelmann Fatih Akin «Identitätsfindung im deutschtürkischen Film anhand ausgewählter Beispiele Fatih Akins, Mittweida, Hochschule Mittweida (FH), University of Applied Sciences, Fakultät Medien, Bachelorarbeit, Berlin, 08.07.2015. S.16
- Lachmann 1990: 35 in Stocker, Peter; ,,Theorie der intertextuellen Lektüre: Modelle und Fallstudien“, S. 38 (französische Autoren)
- KÜHNEL, Roland (2007), Die Globalisierung und ihre sprachlichen Folgen. Französisch und Englisch in den Stadtsprachen von Beirut und Casablanca, Wien: Praesens Verlag, S. 72.
- http://trans-weib.blogspot.com/2015/08/the-transgender-people-have-identity.html
Über die Autorin:
Nacira Bouregaa, geboren 1991 in Tebessa, Algerien. Studium der Germanistik an der Universität Djilali Liabès Sidi-Bel-Abbès, Diplomarbeit zu Goethes öst-westlichem Divan, jetzt Promotionsstudium in Oran an der Universität Ahmad ben Ahmed.
Sie sagt: „Ich lerne mit dem Deutschen nicht nur eine Sprache, sondern eine Kultur.
* Bilder:
Titelbild: fotolia/stockpics
Sprechblase mehrsprachig: pixabay/ryantbarnettusu
die anderen Bilder: privat von Nacira Bouregaa aus Algerien. Sie zeigen Algier, Tebessa und Telemssan.
Ein Foto von sich selbst wollte und durfte Nacira nicht im Internet zeigen.
Antje Ihr Thema ist auch sehr interessant.
Die Frage nach der Identität der fremdsprachigen Literatur ist weltlich, wir finden auch in der Literaturszene afrikanische Schriftsteller, die auf Deutsch geschrieben haben .z.B. Jean-Félix Belinga- Belinga. Das Bild des Fremden wird in der Relation zum Bild des Eigenen untersucht, und es werden gesellschaftliche Mechanismen dargestellt, für die Identitätsausbildung relativ sind.
Eine Person ist zum Beispiel bescheiden, mutig, fleißig, oder gemein, sie liebt Sport oder Internet. All das spiegelt ihre Persönlichkeit wider. Sie lernt heute Deutsch, morgen Spanisch, sie spricht Russisch, morgen Italisch, sie schreibt auf Französisch, morgen auf Arabisch. Die Wahl jeder Sache oder Idee ist Teil meiner Persönlichkeit. Ich bildete meine Persönlichkeit durch Lernen, Lesen Kommunikation, Interaktion mit der Außenwelt, mit lokalen und regionalen Kulturen. Ich bestimme meine Zugehörigkeit und damit meine Identität auch.
In zwei Sprachen und Kulturen heimisch zu sein wird als Chance bewertet. In diesem Zusammenhang finde ich das Thema der kulturellen Vielfalt interessant. Dies bedeutet z.B. wenn wir mehrsprachig aufwachsen und somit den Zugang zu unterschiedlichen Kulturen haben, wird unsere Kultur hybrid. Das ist ein ganz wichtiger Aspekt, weil es eine Bereicherung ist für jeden einzelnen und für die ganze Gesellschaft. Dann ist die kulturelle Kompetenz zu erwähnen aber die ganz wichtig ist in der globalen Arbeitswelt.
Die Mehrsprachigkeit ist kostbar, aber man soll dafür beachten, dass die kulturelle Identität durch die Sprache geprägt wird.
Im Anschluss möchte ich mit dem folgenden Wort von der Nobelpreisträgerin Herta Müller beim Kongress -Sprache ist Heimat – mit meiner Besprechung enden: «Heimat ist das, was gesprochen wird». Das heißt: die Heimat kann man in der Sprache der Literatur finden, die seine kulturelle Identität begrenzt.
vielen Dank
Zacharieva has expressed: as long as I think in my own mother tongue, I am unprejudiced. As well as has Kateb Yacine said: «I would have to re-educate me to my own language.»These expressions may limit the difference between writing with our own and foreign language. Literary texts as cultural products reflect a cultural identity, so the question arises whether we can determine the cultural identity of a text through its language?
http://www.sciencemag.org/news/2015/03/speaking-second-language-may-change-how-you-see-world
we want to talk about literature and cultural identity, then literature and cultural identity should be first understood as common events of culture. The relationship between culture and language on one side and between literature and culture on the other leads to the question of the cultural identity of a literature depending on its language.