Gendern? Wie oft habe ich diese Diskussion schon geführt: Frauen, stellt euch nicht so an. Das ist das generische Maskulin. Das heißt so und Männer und Frauen sind gleichermaßen gemeint. Tatsächlich?
Mitgemeint. Wirklich?
In meiner Kindheit hießen Pflegekräfte im Krankenhaus nicht Pflegekräfte. Das richtige Wort dafür war Krankenschwester, obwohl die wenigsten davon wirklich Ordensschwestern waren, sondern Frauen, die ohne besondere Bekenntnisse diesen Beruf erlernt hatten und ausübten. Irgendwann begannen auch Männer, den Beruf der Krankenschwester zu erlernen. Ups. Nein, das heißt ja seither gar nicht mehr Krankenschwester. Männer kann man ja nicht Schwester nennen. Das heißt jetzt: Krankenpfleger*in. Wenn man jetzt die Puristen des generischen Maskulins fragen würde, dann sind auch weibliche Pflegekräfte, nach wie vor die Mehrheit in diesem Beruf, Krankenpfleger, schließlich heißt es ja so.
Weibliche Diplom-Kaufmänner
Mitte der 90er Jahre schloss ich mein Studium als Diplom-Sozialwirtin ab. Und ich hatte Glück. Ich war der erste Jahrgang, der nach langem Kampf mit dem Prüfungsamt und der Universität auf seiner Urkunde –wirtin stehen hatte. Die Absolventinnen der Jahrgänge vorher hießen Diplom-Kaufmann, Diplom-Volkswirt, Diplom-Sozialwirt und Diplom-Wirtschaftspädagoge. Es hieß: Der Beruf heißt so. Ihr seid mitgemeint. Stellt euch nicht so an.
Stellen wir Frauen uns wirklich an?
Blicken wir auf die Berufsfelder, die seit jeher von Frauen ausgeübt werden: Lehrer*innen, Kindergärtnerinnen (so hieß es früher, jetzt heißt es Erzieher*innen), Tagesmütter, Krankenschwestern, Frisör*innen: Wir stellen uns bei einer Berufsbezeichnung einen Menschen vor. Ein Mensch hat ein Geschlecht. Das grammatikalische Maskulin/Feminin/Neutrum greift bei Löffel, Gabel, Messer. Ich unterrichte Deutsch als Zweitsprache und es ist wirklich ein Kreuz mit den Artikeln, weil es bei den meisten keine plausible Erklärung dafür gibt, warum der, die, das. Wenn mein Sohn von dem Lehrer spricht, dann meint er einen Mann. Wenn er eine Frau meint, sagt er natürlicherweise Lehrerin. Denn er bezeichnet einen Menschen. Und Menschen haben ein Geschlecht.
Gendern veralbernd
Wer von Kinderinnen, Mitgliederinnen oder Anzeigerinnen spricht, hat dagegen das Thema entweder nicht verstanden oder zieht es absichtlich ins Lächerliche, wie jüngst der Kölner Stadtanzeiger, der die Ausgabe zu 100 Jahren Frauenwahlrecht als Anzeigerin betitelte. Das Kind, die Zeitung, der Anzeiger, das Magazin, das Mitglied sind Genera, die keinen Sex in sich tragen. Ein Kind kann jedes Geschlecht haben. Und Zeitungen, Magazine oder Anzeiger sind Gegenstände ohne Sexus. Wenn ich Mitglied schon unbedingt gendern will, müsste ich korrekterweise Ohneglied sagen, Spaß beiseite.
Ich investiere viel Arbeitszeit in meine Blogbeiträge, beachte journalistische Kriterien und stelle viel weiterführende Information zur Verfügung. Das alles stelle ich kostenlos für alle zur Verfügung – ohne bezahlte Werbung auf meiner Seite. Aber natürlich muss auch ich im Supermarkt mit Euros bezahlen. Daher freue ich mich, wenn du meine ehrenamtliche redaktionelle Arbeit unterstützt.
Update im November 2022: Etwas anders verhält es sich mit Gast. Als ich den Blogbeitrag 2018 schrieb, dachte ich, der Gast sei genderneutral, Gästin eine Veralberung und hatte das hier auch so geschrieben. In einer Online-Veranstaltung 2020 lernte ich von der Duden-Redaktionsleiterin Dr. Kathrin Kunkel-Razum, dass es im Grimm’schen Wörterbuch auch die Bezeichnung Gästin gibt, es also eine Splittung nach Geschlecht gab. Allerdings würde es mich freuen, wenn sie wieder aus der Sprache verschwände. Denn Besucher*in ist auf jeden Fall mit Gender und ich freue mich über jeden Begriff, denn ich als Gattung genderneutral lesen kann.
Gendern ist einfach
Wenn ich das Prinzip einmal verstanden habe, ist gendern einfach. Ja, es gibt in der deutschen Grammatik ein grammatikalisches Geschlecht und das ist etwas anderes als das biologische Geschlecht (Sex) oder das soziale Geschlecht (Gender). Bei Berufsbezeichnungen beziehungsweise Personenbezeichnungen stellen wir uns aber Menschen mit einem biologischen Geschlecht vor, daher eine traute Einheit von grammatikalischem und biologischem Geschlecht im Sinne des Sexus. Glücklicherweise hat die deutsche Sprache die Eigenschaft, dass sie unglaublich beweglich ist und man einfach neue Worte formen kann. Ich muss also nicht Texte unlesbar machen, indem ich ständig Doppelbezeichnungen verwende. Es geht viel einfacher.
Neutrale Begriffe verwenden
Um nicht ständig gendern zu müssen, hat es sich bewährt, neutrale Begriffe zu verwenden: Bereits seit Mitte der 90er Jahre hat sich der Begriff Studierende durchgesetzt, um nicht ständig von Studentinnen und Studenten zu reden. Das Gleiche funktioniert für Mitarbeitende oder Lehrende. Sprachpuristische Linguist*innen wenden jetzt ein, es handele sich um eine falsche Verwendung des Partizip I. Denn das Partizip I beschreibe eine Tätigkeit und nur weil jemand in der Uni eingeschrieben ist, heißt es nicht, dass er oder sie auch studiert. Nun ja, das ist falsch. ein Partizip I kann eine Tätigkeit oder einen Status bezeichnen. Siehe Vorstandsvorsitzende, Auszubildende, Arbeitssuchende, Erstgebärende und so weiter. Und als Extra für die Erbsenzähler*innen: Student ist selbst ein Partizip, so haben mir das Leute mit Latinum erklärt. Also, don’t worry. Der Gewinn für diesen sprachlichen Move ist deutlich größer: Die Sätze sind sprachlich schön und sprechen alle Geschlechter, auch die zwischen Mann und Frau, korrekt an.
Andere Begriffe laufen zum Beispiel über die Bezeichnung –kraft: Arbeitskräfte, Fachkräfte, Pflegekräfte oder über Begriffe wie Personal oder Belegschaft. Man kann also sehr schöne Texte schreiben, ohne ständig zu erwarten, dass sich jemand gefälligst mitgemeint zu fühlen hat.
Warum ich das Gendersternchen so mag
Auf diese Weise bleiben deutlich weniger Worte übrig, für die es überhaupt einen Bedarf an Beidnennung gibt. Und für die gibt es ja seit Kurzem das Gendersternchen. Danke für die edle Erfinder*in. Ich konnte mich nie mit dem Binnen-I anfreunden. Das steht so quer und falsch im Text, dass es jeden Text verschandelt. Auch den Schrägstrich empfand ich eher als Notlösung, der manchmal gut funktioniert, den ich in anderen Texten aber als störend empfinde. Und Beidnennung wie liebe Leserinnen und Leser sind nur in kleinen Dosen zu vertragen, sonst machen sie Texte unlesbar.
Das Gendersternchen fügt sich harmonisch in die Typografie und den Text ein. Und ja, man kann es sogar sprechen, wie ich jüngst lernen durfte. Progressive unter den Dozentinnen und Dozenten an der Uni sprechen das Sternchen so selbstverständlich wie die Worte Mama oder Papa. Eine kleine Pause. Das ist alles. Geht. Und schon habe ich das Problem der Geschlechterdiskriminierung durch Sprache gelöst.
Faktische Diskriminierung in Algorithmen
Stellt euch nicht so an, höre ich die Gegenargumente im Ohr. Nur weil ich gendere, bekomme ich keine Gleichberechtigung. Stimmt. Das hat auch nie jemand behauptet. Aber gendern macht die Welt nicht nur gefühlt gerechter, auch faktisch.
Schließlich leben wir in einer digitalen Welt, die mehr und mehr von Algorithmen gesteuert wird. Und Computer sind dumm wie Stroh. Die tun genau das, was man ihnen sagt. Und wenn sie nur nach männlichen Bezeichnungen suchen beziehungsweise wenn im Text nur die männlichen Bezeichnungen stehen, dann werden Männer bevorzugt und Frauen benachteiligt. Denn Computer fühlen nichts. Die fühlen niemanden mitgemeint. Es sind Maschinen. Die tun, was ihnen gesagt wird. Also sagen wir den Maschinen, dass sie Frauen und Männer und alles dazwischen suchen und finden sollen.
Sprachwandel ist normal. Gestalten wir ihn.
Wir nehmen ganz selbstverständlich neue Worte in unsere Sprache auf: Tablet, Handy, Smartphone, Homeoffice, Public Viewing… alles Begriffe, die es in meiner Kindheit nicht gab. Andere Worte haben neue Bedeutungen bekommen und wieder andere sind quasi aus der Sprache verschwunden. Ja und? Die Welt verändert sich und mit ihr die Gesellschaften und ihre Sprachen.
Heute sind Frauen in Deutschland selbstverständlich seit 13 Jahren Kanzlerin. Auch dieses Wort gab es vor 20 Jahren nicht. Und auch hier meine ich mich zu erinnern, dass sich anfangs einige weigerten, von einer Bundeskanzlerin zu sprechen, das Wort hieße schließlich Bundeskanzler. Aber das hat sich nicht durchgesetzt. Frauen heute führen große Unternehmen, managen Abteilungen, forschen, sind Expertinnen auf ihrem Gebiet und selbstverständlicher Teil in (fast) allen Berufen. Genauso wie Männer heute Babys wickeln, Kinderwagen schieben oder Berufe ausüben, die den meisten von ihnen vor 30 Jahren noch unvorstellbar erschienen. Natürlich muss das eine Sprache abbilden. Und das geht ganz einfach und ohne Aufregung, wenn man das will.
Zurück auf Anfang: Tagesvater, Kinderjunge und Kindermann
Kürzlich las ich, dass eine Frau in einem Ort in der Nähe Kölns die erste Müllfrau sei, ja Müllmänner sind eben auch nicht nur Männer. Aber wie nennen wir jetzt männliche Betreuer von Kindern im häuslichen Umfeld? Tagesvater klingt ja normal und völlig ok. Aber Kinderjunge oder Kindermann klingt dämlich. Auf Facebook habe ich schon einige Vorschläge bekommen: Hirte, Au Pair, Betreuer, Nannerich. Weitere kreative Lösungen erbeten!
Bildnachweis: pixabay, 3dman_eu
Gestaltung der Nutzer:innen-Oberfläche
Ich bin mir unsicher, ob diese Begrifflichkeiten verablern oder genau die richtige Richtung ist.
Bitte um Stellungnahme.
Sehr geehrter Rudi Müller,
warum schreiben Sie nicht einfach „Gestaltung der Oberfläche“ oder „Gestaltung der Nutzungs-Oberfläche“ oder „Gestaltung des Frontends“ (Frontend aber nur, wenn sich der Text an Fachpublikum richtet, einfache Nutzer*innen kennen Frontend/Backend nicht.
Wenn Sie Sonderzeichen verwenden, empfehle ich aus Gründen der Inklusion/Barrierefreiheit den Genderstern. Warum, können Sie hier nachlesen: https://www.gespraechswert.de/inklusive-sprache-barrierefreiheit-gendern/
Weitere Tipps bekommen Sie hier: https://www.gespraechswert.de/category/gendern/
Meine Workshops zum Thema Gendern sind jetzt gerade vorbei. Aber ich plane Anfang des Jahres wieder eine Runde, bei der sich Leute frei anmelden können.
Guten Tag,
Der Beitrag hat mir sehr gut gefallen und meine Sicht auf das Thema erweitert. Obwohl ich Programmiererin bin, war das algorithmische Problem noch nicht zu mir durchgedrungen.
Ich habe meine Meinung in „gendern ist wichtig.“ geändert, nachdem ich von der Auswirkung auf Kinder erfahren habe (Quarks Video).
Trotzdem kann ich mich nicht mit der *-Lösung anfreunden, weder geschrieben noch gesprochen. Persönlich habe ich Spaß am Gendern nach Fettberg.
Vielleicht ist es auch ganz gut, solange Kinder, die „Polizisten“ (generisches Maskulinum) malen sollen, ausschließlich maskuline Figuren generieren, dass alle, denen inklusive Formulierungen noch nicht in Fleisch und Blut übergegangen sind, über das Gendern stolpern oder sich auch gerne darüber aufregen. Ja, es gibt dringender Probleme wie den Klimawandel. Das heißt aber nicht, dass solche subtileren Probleme aus dem Bewusstsein verschwinden dürfen; gut wenn man immer wieder darüber stolpert.
Viele Grüße,
Edda
Hallo,
sehr schön, dass sich kluge Leute den Kopf über richtig Gendern, Gendersternchen, BinnenI etc. zerbrechen. Ich halte die Diskussion überflüssig wie einen Kropf. Ich kenne niemanden – auch keine Frauen – der diese abgehobene Schreibweise benutzt oder Wörter so ausspricht. Es entstehen lächerliche Sprachgebilde, das Schriftbild wird verunstaltet und beim Sprechen denkt man eher an einen Sprachfehler. Es erschließt sich mir auch nicht, warum „der Mensch “ beide Geschlechter meint, nicht aber andere männliche Bezeichnungen wie Forscher, Radfahrer etc.
Hallo Günter Krusat,
was für Ihre private Umgebung gilt, kann ich nicht beurteilen. Und Ihre persönliche Meinung, ist Ihre persönliche Meinung. Die respektiere ich.
Ebenso gibt es andere Leute, die die Sache anders sehen. Und die haben das gleiche Recht darauf, die Sprache so zu verwenden, wie sie es für angemessen und schön halten.
Aus beruflicher Sicht kann ich sagen: Ob ein Text sprachlich gut zu lesen und zu verstehen ist, ist zuerst eine Frage guten Stils, ob genderinklusiv oder nicht. Vielleicht ist es ja so, dass Ihnen nur Texte auffallen, die Ihnen nicht gefallen. Und schön gegenderte Texte nehmen Sie gar nicht als gegendert wahr?
Lesen Sie sich doch ein bisschen durch meinen Blog und prüfen Sie, ob Gendern wirlich so schlimm ist, wie Sie befürchten.